Patagonien – Viento, mucho Viento!

DSC_6307Tag 674 bis Tag 683, Donnerstag 03.03. bis Donnerstag 12.03.2016 – Kreative Höhlenmenschen, verrückte Radfahrer und arbeitsscheue Hippies: in Patagonien läuft uns so manch seltsames über den Weg.  

Ah, jetzt sind wir ja wieder in Spanien“ stellt Susi bei unserer Rückkehr in Ushuaia aus der Antarktis fest. Knapp daneben. Das hier nennt sich Argentinien, ist aber Spanisch sprechend. Mit Wolf und Angus verlassen wir Ushuaia und reisen die nächsten Wochen gemeinsam durch Patagonien. Immer auf dem Sprung zwischen Chile und Argentinien.

Patagonien ist vor allem eines: weit und dabei dünn besiedelt. Speziell im rauen, windreichen Süden leben im Durchschnitt 1,2 Menschen pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: in Deutschland sind es 228, in Singapur über 7.000. Es ist also recht wenig los hier, so Menschen technisch. Alle 30 Kilometer sehen wir mal eine Estancia (Farm), alle 200 Kilometer fahren wir durch ein Dorf. Das ist quasi Karlsruhe bis Stuttgart und zurück, und auf der ganzen Strecke gibt es nur Staffort. Ansonsten Steppe. Und Guanacos. Und Wind, viel Wind. Umso erstaunlicher, dass vor allem hier im Süden Patagoniens dermaßen viele Radfahrer unterwegs sind. Bei Gegenwind von 50 km/h kann das doch keinen Spaß machen. Selbst der Landrover wird durch den Wind gedrosselt. Anstatt unserer normalen 120 km/h Reisegeschwindigkeit kommen wir bei Gegenwind mit durchgedrücktem Gaspedal gerade mal auf 95, maximal 100 km/h. Da rollst du mit dem Rad doch rückwärts! Verrückte Radler.

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Guanacos auf dem Weg zu den Torres del Paine
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Wo geht es lang?
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Torres del Paine

Torres del Paine

Unser erster Stopp zum Wandern ist in Chile, Torres del Paine. Rund um das Felsmassiv aus drei hohen Säulen können Wanderlustige mehrtägige Touren starten. Wir lassen es eher gechillt angehen und entscheiden uns für die Tageswanderung zu den Torres. Sieben Stunden, 900 Höhenmeter. Da haben wir uns anschließend ein leckeres Radler in der Sonne verdient. Endlich können wir auch die Murika einmal wieder auspacken. Es gibt Bratkartoffeln mit Ei und Würstchen. Campen ist einfach toll. Vor allem, wenn man auf einen voll ausgestatten Landrover zurückgreifen kann, der von Duschbrause bis italienischem Espresso-Kocher einfach alles bietet. Speziell die Kaffeezubereitung verwirrt Susi allerdings ein bisschen. „Hey, da ist doch gar kein Wasser drin!“ warnt sie uns mit ernstem Blick in den oberen Behälter der zweiteiligen Kochers. Dorthin, wo der fertig gebrühte Kaffee sich sammelt. Wolf und ich schütteln verdutzt den Kopf.

Fitz Roy und Cerro TorreZwischen Torres del Paine und El Chalten, wo die beiden Felsmassive Cerro Fitz Roy und Cerro Torre stehen, liegen 450 Kilometer (teilweise Schotter), ein Grenzübergang und viel, viel nichts. „Hier ist einfach nix, gar nix!“. Wir fahren die Strecke allerdings nicht an einem Tag komplett, sondern machen einen kurzen Umweg nach Calafate. Die kleine Stadt ist Ausgangspunkt für Touren zum berühmten Gletscher Perito Moreno. Ein ‚Must-See’ in Patagonien und Top-Empfehlung jedes Reiseführers. In Calafate überkommt uns allerdings ein leichtes Gefühl der Faulheit, also frage ich Wolf: „Mmmhh, was meinst Du, müssen wir den sehen?“ – „Na ja, ich war schon mal dort. Fahr also nicht mehr hin aber Ihr könnt Angus haben und selbst fahren.“ – „Ja aber lohnt es sich nach der Antarktis noch?“ – „Ist halt ein Gletscher. Schon schön eigentlich.“ – „Hast Du ein Bild davon?“ – „Klar.“ – „Okay, zeig mal. Das reicht mir. Dann können wir uns den Weg sparen!“ – Faulheit und Reizüberflutung sind üble Freunde des Langzeitreisens 😉

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Der Weg nach El Chalten

Am nächsten Morgen sitzen wir wieder in Angus und sehen bereits von weitem die markanten Umrisse des Fitz Roy. Es sind noch über 100 Kilometer, dennoch kommt es uns vor, als seien wir knapp vor unserem Ziel. Ganz ohne Luftverschmutzung wirken Entfernungen einfach anders. El Chalten ist an sich schon ein lohnendes Ziel. Das Dorf wurde erst vor 30 Jahren gegründet, um argentinische Gebietsansprüche in der Region zu untermauern. Mittlerweile hat das 2.000 Seelen Dorf einen tollen Charm und gefühlt mehr Hunde als Einwohner. In kleinen Cervezerias (Bier-Kneipen) gibt es hausgemachten Eintopf (Locro) und leckeres Bier vom Fass. Genau das richtige, um uns für eine Zweitages-Wanderung zu stärken.

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Cerro Torre
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Wind, viel Wind
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Cerro Fitz Roy? Wo?

Mit vollem Gepäck wandern wir  zum Lago Torre, von wo aus man einen tollen Blick auf den 3.100 Meter hohen Cerro Torre genießt. Der spitze Fels ist unter Kletterern aus zweierlei Gründen sehr bekannt. Erstens, die steile Felswand ist ein richtig anspruchsvoller Aufstieg. Zweitens, die (nicht anerkannte) Erstbesteigung durch Cesare Maestri erfolgte mithilfe eines Kompressor-Bohrers. Der Italiener hat tatsächlich einen Kompressor als Kletterhilfe mit auf den Gipfel geschleppt und 300 Haken in den Fels gebohrt. Den Kompressor hat er am Ende einfach am letzten Bohrhaken hängen lassen. Kurz unterhalb des eisbedeckten Gipfelpilzes. Hochbohren. Irgendwie eine seltsame Art des Kletterns. Italiener.

Nach weiteren drei Stunden Marsch erreichen wir unseren Zeltplatz unterhalb des Lago de los Tres und schlagen gemütlich unser Zelt auf. Unsere Zeltnachbarn, Deutsche natürlich, stellen sich als richtig spezielle Typen heraus. Das Pärchen sticht schon rein äußerlich heraus. Sandalen und Schlaghosen. Bei Trekkingtouren nicht unbedingt die erste Kleiderwahl. Mit ihren langen Haaren und alternativem Auftreten passen sie auch eher in die Kommune 1, als auf einen Zeltplatz am Fitz Roy. „Wir arbeiten nichts!“ ist die wenig überraschende Auskunft. „Hier am Zeltplatz sind wir jetzt schon ne Weile und haben noch Vorräte für eine Woche. Hier kostet es nix. Wir sind vor acht Jahren nach Südamerika ausgewandert. Sind dann aber vier Jahre in Lima festgesteckt, weil wir kein Geld zum weiter reisen hatten. Schon doof so. Ist halt alles so teuer, so.“ In der Tat, doof. Susi und ich machen unseren Reis mit Gemüse und verziehen uns in unser Zelt. Um 6 Uhr klingelt schließlich der Wecker, damit wir bei Sonnenaufgang am See (Lago de los tres) sind und guten Blick auf den Fitz Roy haben.

6 Uhr Aufstehen – Check! Mühsamer Aufstieg zum See – Check! Blick auf Fitz Roy? No-Check. Heute ist tatsächlich der einzige Tag, an dem nicht ein Fünkchen Himmel zu sehen ist und die Wolken sau tief hängen. Zu allem Überfluss beginnt es auch noch zu regnen. Toll. Zurück am Zeltplatz ist es auch nicht besser. Nass bis auf die Unterhosen packen wir ein ebenso nasses Zelt und machen uns auf den Rückweg. Unsere Hippie Nachbarn liegen noch im Bett. Gute Entscheidung eigentlich.

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Cuevas de los ManosMitten im Nirgendwo der argentinischen Steppe sind die Cuevas de los Manos, die Höhlen der Hände. Vor bis zu 9300 Jahren haben sich die ersten Menschen hier mit Wandzeichnungen verewigt. Laut Reiseführer liegt direkt daneben ‘am Ende einer schönen Schlucht eine malerische Estancia‘ zum übernachten. Die 7 Kilometer bis dorthin haben wir als gemütlichen Abendspaziergang eingeplant. „Estancia? Die Estancia ist 20 Kilometer weg, da kann man nicht hin wandern!“ informiert uns der Angestellte der Parkverwaltung. Okay, vielen Dank, Reiseführer. Zur Estancia fahren fällt auch aus, weil man komplett um den Canyon müsste, was circa 150 Kilometer ausmacht. Wir müssen also improvisieren und zelten einfach mitten auf der weiten Steppe. Um uns herum gibt es nichts außer gelbem Gras, einigen Guanacos, ein paar mehr Büschen und richtig viel Guanaco-Scheiße. Ach ja, und Wind natürlich, viel Wind (den gibt es hier überall kostenlos dazu). Geschützt durch Angus sitzen wir bei selbstgemachten Fleischküchle (bzw. Fleichpflanzerl, Buletten oder Gewiegtes – je nach Herkunft) und Bratkartoffeln im Windschatten und warten auf die Dunkelheit. Ohne störende Lichtverschmutzung sehen wir vom Kreuz des Südens bis zum Gürtel des Orion die Sterne von Horizont zu Horizont. Sternschnuppen und Satelliten fliegen über unseren Köpfen. Es ist, als würde die Milchstraße die Erde berühren. Solche Momente sind es, die mich immer wieder aufs neue sprachlos werden lassen, die man selbst erleben muss, um es nachvollziehen zu können, und die sicherlich ewig in Erinnerung bleiben. Das findest Du in keinem Reisführer. Das findest Du nur selbst. Per Zufall.

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Wild Campen in Nirgendwo
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Patagonische Steppe

Die Führung an den Cuevos de los Manos ist ebenfalls interessant. Hauptsächlich bestehen die Wandzeichnungen aus Händen. Linken Händen, passiv gemalt – um genau zu sein. Dazwischen gibt es vereinzelt Kreise, Guanacos, Striche und Menschen. Interessant ist auch, was Forscher da so alles rein interpretieren. „Die 9 Kreise hier nebeneinander stellen den Zeitraum der Schwangerschaft dar. Die Kreise hier sind Wasser, in das ein Stein fällt. Das Guanaco mit dem langen Schwanz ist ein Puma. Die Hand mit dem großen Kreis drum war ein Schamane.“ Ich frag mich, woher ein Forscher 9300 Jahre später die Absicht des Höhlenbewohners erraten möchte. Vielleicht hat der Junge damals einfach zu viel von einer witzigen Wurzel genascht? Oder ihm war im langen Winter einfach langweilig und er mochte Kreise? Wer weiß das schon. Unsere beiden arbeitsscheuen Hippie Freunde vom Fitz Roy malen sicher auch öfter mal Kreise in die Landschaft. Was Forscher in 9000 Jahren wohl dazu sagen?

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Cuevas de los Manos

Den wohl verlassensten Grenzposten unserer bisherigen Reise erreichen wir am Ende einer knapp 200 Kilometer langen Schotterpiste. Ein Pferd vor dem Schlagbaum erinnert mehr an einen alten Western als an eine Grenzstation. Sagenhafte acht Personen haben vor uns heute die Grenze überquert. „In der Hochsaison können es aber auch mal 30-40 Autos pro Tag sein!“ erklären uns die argentinischen Grenzbeamten stolz. Da schau an, da ist ja dann richtig was los im Sommer. Ein paar Kilometer weiter, am chilenischen Posten, wird Angus durchsucht. Bei acht Leuten pro Tag ist denen wohl langweilig. Aus unserer Vorratskammer beanstandet der Polizist Äpfel, Eier, Kartoffeln, Knoblauch und Zwiebeln. Milch, Käse, offene Wurst ist okay. Eine Logik dahinter? Wir können keine erkennen. Außer vielleicht, dass die Jungs an der Grenzstation heute gerne Bratkartoffeln mit Spiegelei machen würden. „Hier, bitte das Zeug alles in die Biotonne da vorne werfen!“ Brav laufen wir abwechselnd zur Biotonne und ‚vernichten’ die bösen Lebensmittel. Susi hat danach Knoblauch und Zwiebeln in der Hosentasche, Wolf hat die Eier gerettet. Das wird ein böses Erwachen für die Poliziste, wenn sie später in der Biotonne die Zutaten für ihr Abendessen suchen. Wir sind jedenfalls zurück in Chile….und weiter gut gewappnet fürs Wild Campen.

 

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