Flusswanderung Rio Chillar

Tag 70, Samstag 12.07.2014 – …warum man immer etwas Panzertape dabei haben sollte. 

Nachdem ich meine Schwester vergangenen Dienstag sicher zum Flughafen brachte (bzw. zur Bushaltestelle, an der der Bus Richtung Flughafen fährt), ist es dieses Wochenende endlich mal wieder Zeit für ein wenig sportliche, körperliche Betätigung. Und siehe an, sogar Junior, David und Co. lassen sich von Miguels Geheimtipp einer Flusswanderung überzeugen. Vor allem von Pfadfinder Junior bin ich etwas überrascht, bestand doch bislang seine einzige körperliche Aktivität darin, den notgedrungenen Weg zur Schule zu laufen…und jetzt gleich freiwillig 5-6 Stunden in einem kalten Bergfluss? Respekt, so wirst Du wirklich mal ein echter Pfadfinder – so mit Wandern im Wald und so! Theoretisch sind wir sogar eine Person zuviel für Trixers Toyota, sind wir doch Stand Freitagabend 6 Personen.

Samstag 09:00 Uhr ist Abfahrt und das Problem der überschüssigen Person hat sich von alleine erledigt. Ted zog das malagenische Nachtleben dem frühen Aufstehen vor und ist beim besten Willen nicht wach zu bekommen – auch nicht tragisch. Es wäre ohnehin eng geworden. Erster Stopp: Mercadona Frühstück und Verpflegung für den ganzen Tag kaufen, denn wohin wir laufen gibt es weder Kiosk noch Toiletten. Von dieser Androhung etwas eingeschüchtert laden die vier Anderen unseren Einkaufswagen so voll, als würde unmittelbar danach der dritte Weltkrieg ausbrechen oder ein Tsunami die Mittelmeerküste heimsuchen. Ob die wissen, dass wir das auch alles selbst tragen müssen?

Die Strecke nach Nerja kennt Trixers Auto ja bereits vom Ausflug der vergangenen Woche, nur das wir heute nicht an den Strand, sondern in die Berge fahren. Miguels Wegbeschreibung erscheint nicht sonderlich kompliziert und wir finden sofort die richtige Abfahrt. Allerdings verwechselt Miguel den Toyota offensichtlich mit einem Hummer oder Landrover – was sind das denn für Straßen? Wobei ‘Straße‘ sicherlich das falsche Wort hierfür ist. Beifahrer bitte alle aussteigen, sonst sitzen wir noch mehr auf. Irgendwie komme ich mir vor wie im Dschungel und kann mir nicht vorstellen, dass das hier ein offizieller Weg zu einem beliebten Wanderziel sein soll. Da ist doch was faul! Und tatsächlich, nach 20 Minuten umhergeirre auf Feldwegen, über Steine und entlang an Steilhängen kommen wir wieder auf eine geteerte, offizielle Straße, die zugleich auch in unserem Ziel endet (Parkplatz Rio Chillar). Na toll. Wenigstens konnte die Geländeprüfung des Toyota mit Bravour bescheinigt werden. Zurück nehmen wir aber bitte den anderen Weg. Danke Miguel für die detaillierte Karte.

Auf Abwegen
Auf Abwegen
Das Schuhwerk zum Wandern
Das Schuhwerk der Wanderung
Der Fluss
Der Fluss

Zudem ist der ‘Geheimtipp’ nicht so geheim wie das Wort “geheim” es vermuten lassen könnte. Es ist bestenfalls so geheim, wie Angis Mobiltelefon oder Lothar Matthäus Privatleben. Es fällt mir sogar schwer, einen vernünftigen Parkplatz zu bekommen. Aber egal. Wir ziehen unser Flusswanderschuhwerk an, packen die Rucksäcke und schließen uns optimistisch dem Strom der Flusspilgerer an. Allerdings bin ich alles andere als begeistert. Quängelnde Kinder, langsame Renter, laute Gruppen und absolut keine Chance auf ein Foto ohne Fremde – Natur ist anders. Hinzu kommt, dass nach circa 30 Minuten die Schlucht wahnsinnig eng wird, in der sich das Flussbett befindet. Eigentlich finde ich das toll, kann ich an manchen Stellen beide Steilhänge bei ausgestreckten Armen gleichzeitig berühren. Dennoch kommt gerade keine Freude auf, wirken diese Engstellen wie Nadelöhre, durch die sich der Strom an Menschen presst und allesamt gleichzeitig ein Bild machen wollen. Wartezeiten sind die Folge. Schlange stehen in einem Flussbett – auch mal was neues, gibts sonst nur im Europapark oder der Alhambra.

Nach circa 75 Minuten wird es besser. Um nicht zu sagen richtig toll. Viele andere ‘Reisegruppen‘ quälen sich nicht den ganzen Weg im Fluss entlang, sondern rasten bereits an den ersten kleineren Lagunen. Leon und Mery steht derselbe Wunsch ins Gesicht geschrieben – aber wir sind ja nicht zum Spaß hier! Nach passieren eines etwas größeren Wasserfalls wird es sogar richtig leer. Nur noch selten sind andere Flusswanderer um uns herum. Zeit für Picknick und Baden. Obwohl das Wasser relativ kalt ist und durch die enge Schlucht nur begrenzt Sonne auf uns scheint, genießen wir das Planschen in einer Laguna, das anschließende Vesper und eine Siesta auf heißen Steinen.  So habe ich mir das vorgestellt. Wir sind jedoch noch nicht an der Quelle des Flusses angekommen, weswegen wir nach  kurzer Rast den weiteren Aufstieg in Angriff nehmen. Mittlerweile sind wir gänzlich alleine, kein Anderer bemüht sich bis zum letzten Wasserfall zu klettern, der immerhin circa 3 Stunden vom Anfang entfernt ist. Aber die Strapazen lohnen sich. Naja, Leon ist mittlerweile am Meckern, weil seine äußerst geeigneten Merkzweck-Chucks eine riesige Blase kurz unterhalb der Achillessehen verursachten…aber ich denke er wird nicht sterben! Pflaster drauf und weiter geht’s!

Der Fluss
Rio Chillar
Brotzeit in Spanien
Brotzeit in Spanien
Siesta Zeit
Siesta Zeit
Der letzte Wasserfall
Der letzte Wasserfall
Stapelmann an Bord
Stapelmann an Bord

Nach kurzer Pause am obersten Punkt beginnt der Abstieg – was meiner Ansicht nach immer der weniger schöne Teil bei so einer Wanderung ist. Drei Stunden lang glitschige Steine bergab – Juhu. In einem Steilstück passiert es…ich versuche zu bremsen und rutsche auf einem Stein aus! Shit. Ohne hinzusehen merke ich, dass mit meiner linken Hand etwas nicht stimmt. Mist. Mittel- und Ringfinger lassen sich nicht bewegen. Ich schaue hin und erkenne den Fehler: Beide Finger stehen 45 Grad nach links gebeugt und sehen ziemlich unnatürlich aus. Andis Gesichtsausdruck zufolge – eine Mischung aus Weiß und Weiß – sieht es auch für ihn nicht gerade vorteilhaft aus. Hilfsbereite Spanier scheinen ebenso schockiert und bieten ihre Unterstützung an – indem sie mir Wasser reichen. Ist das Euer ernst? Ist das Wasser aus dem Heiligen Gral und ich schütte es einfach wie Indianer Jones über die Finger? Oder denken sie: “Oh, jetzt könnte er gerade Durst haben- der sieht erschöpft aus?!” Ich lehne dankend ab und widme mich dem Fingerproblem. Zum Glück fühle ich aufgrund des Schocks gerade überhaupt nichts und so ist es mir möglich, die beiden Finger wieder in die richtige Position zu drücken und ziehen. Andi sucht parallel dazu bereits Material zum Schienen. Mit zwei kleinen Stöcken, Verbandsmaterial aus dem Rucksack und Panzertape fixieren wir die Finger für den weiteren Abstieg. Sind ja nur circa 2,5 Stunden bis zum Auto und ne weitere Stunde bis ins Krankenhaus. Davids Idee, gleichzeitig noch eine Ibuprofen zu nehmen, erscheint mir gar nicht mal so verkehrt. Also Ibu rein, Rucksack wieder auf und ab zum Auto. Während des Abstiegs freue ich mich immer mehr, dass unser Erste-Hilfe-Set und das Panzertape im Rucksack war – Panzertape hilft einfach immer (übrigens auch bei Leons Blase). Eine witzige Geschichte zu Panzertape habe ich bei der Vorbereitung meiner Reise gelesen.

Das Panzertape, auch bekannt als Ducktape (oder Duct-Tape) – woher kommt eigentlich der Name? Bisher habe ich viele witzige Begründungen zur Wortherkunft Panzertape oder Ducktape gehört (bspw. weil man damit Enten = Ducks gefangen hat). Die mit Abstand witzigste las ich allerdings in einem Online-Blog über nützliche Utensilien bei Weltreisen. Ein besonders gewiefter User versuchte die Wortbausteine Panzertape und Ducktape folgendermaßen zu verknüpfen und zu erklären: ‘Panzertape oder Ducktape wurde zum ersten Mal im zweiten Weltkrieg verwendet und zwar in Panzern (daher Panzertape). Immer wenn ein Panzer ein Einschussloch hatte, wurde darüber etwas Panzertape geklebt. Fortan wusste die Besatzung des Panzers, dass sie sich genau an dieser Stelle ducken müssen (daher Duck-tape), weil da Löcher sind und es gefährlich ist, falls noch einmal jemand ins Loch trifft!‘ – hahaha, ist nicht Dein ernst Junge?! Sorry aber ich musste mich vor dem PC kringeln vor Lachen.

Erste Hilfe mal professionell
Erste Hilfe mal professionell

An diese Geschichte denkend läuft der Abstieg gleich viel besser. Meine Finger schmerzen nur relativ wenig, lediglich dick werden sie. Nach 2,5 Stunden sind wir am Auto, nach 3,5 zurück in Malaga und David begleitet mich als Dolmetscher ins Krankenhaus. Eine spanische Privatklinik nicht weit entfernt der Schule – Wartezeit: knapp 5 Minuten. Dann dürfen wir zu einem vielleicht 28-jährigen spanischen Engel, seines Zeichens Ärztin in weißem Kittel, und ich werde untersucht. Schmerzen? Hab ich grad keine! Vielmehr überlege ich, welche Verletzungen ich mir nächstes Wochenende zuführe, damit ich wieder hierher darf. Nach kurzer Untersuchung bescheinigt sie mir ein fachmännisches Einrenken der Finger, bestätigt, dass keiner der Finger gebrochen ist und lässt mich von einem weiteren Engel, diesmal in blauem Kittel, verbinden. Nach nicht einmal 30 Minuten bin ich entlassen – irgendwie komisch, in einem deutschen Krankenhaus dauert es immer eine gefühlte Ewigkeit und anstatt Engel arbeiten dort Vorboten der Hölle. Zurück am Empfang bekomme ich die Rechnung des Himmels präsentiert: 214,13 Euro – hab ich mich verhört, das Spanisch nicht richtig verstanden oder bin ich noch benebelt von den Ibuprofen? Tatsächlich, 214,13 Euro! Ich beginne zu zweifeln, ob ich wirklich in einem Hospital oder doch eher in einem Stripclub bin, in dem die Tänzerinnen sich als Krankenschwestern verkleidet haben! Der Stundenlohn ist dort sicherlich auch nicht höher…(hab ich gehört). Wie auch immer, dank meines ADAC Reisekrankenschutzes lasse ich mich auch gerne im Stripclub behandeln, hauptsache ich bekomme einen Befund und eine ordentliche Rechnung dafür.

Trotz des Unfalls bleibt dieser Ausflug als einer der bislang schönsten in Erinnerung – und als einer der lehrreichsten, denn: Geh niemals ohne Panzertape in den Krieg, nur so weißt Du, wann es Zeit wird Dich zu ducken!

1 Comment

  1. Auf dem Erste-Hilfe-Bild sieht es ganz so aus, als hätte sich auch der größte Teil deines Zeigefingers komplett verabschiedet 😀

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