Tag 83 bis 86, Freitag 25.07. bis Montag 28.07.2014 – Mit Rucksack und Zelt über die Gipfel Andalusiens
Nur zwei Autostunden von Malaga entfernt befindet sich das kleine Örtchen Trevelez inmitten der andalusischen Sierra Nevada. Auf circa 1.500 Höhenmetern ist es das höchstgelegene Dorf des spanischen Festlands und Ausgangspunkt für meine viertägige Trekking-Tour.
Freitag, 16 Uhr: Der Rucksack mit Zelt, Schafsack und Verpflegung für 4 Tage ist gepackt – es kann losgehen. 157 km trennen mich noch von meinem Wochenendtrip, auf den ich mich seit über 3 Monaten freue und vorbereite: Alleine in den Bergen. Die ersten 100km laufen wie am Schnürchen, die gut ausgebauten andalusischen Autobahnen (sogar größtenteils Maut-befreit) erlauben sogar in Trixers Auto die wahnsinnige Spitzengeschwindigkeit von 140 km/h. Offensichtlich weiß das Auto damit jedoch nicht umzugehen, denn die Tanknadel bewegt sich in Sekundenzeiger-Geschwindigkeit in Richtung Reserve und beginnt just in dem Moment des Verlassens der Autobahn zu leuchten. Noch 57 km – eigentlich ein Kinderspiel für den Reservetank und bereits des Öfteren ausgereizt. Heute bekomme ich jedoch selbst ein wenig Muffensausen, nach 30 Minuten auf kurvigen Bergstraßen habe ich gerade einmal 15km zurückgelegt. Sicherheitshalber sollte ich doch eine Tankstelle anfahren, wobei das in dieser Einöde relativ schwierig zu sein scheint. Zum Glück hat meine hoch-technologisierte Navigationassistentin Susanne eine Tankstellensuchfunktion – und siehe da, die nächste Tankstelle ist keine 3 km entfernt. Glück muss man halt haben, wenn man zu doof ist, rechtzeitig zu tanken. Susi lotst mich von der ‘Hauptbergstraße’ auf eine Nebenstraße, noch 100 Meter…mmhh, mir schwant Böses…”Sie haben Ihr Ziel erreicht!”. Das Ziel stellt sich als heruntergekommenes, mit Graffiti beschmiertes und verlassenes Häuschen heraus, bei dem letztmals zu Zeiten Francos Kraftstoff ausgegeben wurde. Umdrehen oder weiter in Richtung des kleinen Bergdorfes? Bergdorf, irgendwoher müssen die ja auch Sprit haben. Und siehe da, tatsächlich finde ich ohne weitere Suchhilfe durch Susanne eine Tankstelle, bzw. eine Zapfsäule am Straßenrand verknüpft mit dem örtlichen Kiosk. Einmal Tanken, ein Eis und weiter gehts. Am Ortsausgang steht überraschender Weise eine Anhalterin. Kommen hier tatsächlich mehrere Autos pro Tag durch? Ich denke eher nicht, also bin ich mal sozial und halte an: “A donde querrias ir?” (Ich hoffe das bedeutet, ‘Wohin willst Du’). “no hablo espanol mucho, soy de Simbabwe. Hablas inglese!” antwortet Mary, 52, aus Simbabwe, die ein paar Woche zu Besuch in Spanien ist. Aber scheinbar war mein Spanisch überzeugend, denn sie ist überrascht, als ich auf Englisch wechsle und sage, dass mir das auch lieber ist. Zufällig muss sie in dieselbe Richtung so habe ich die nächsten 30 Minute eine interessante Gesprächspartnerin.
19:10 Uhr, Ankunft Trevelez. Boah, über 3 Stunden für 157 km, das hatte ich mir anders vorgestellt. Mittlerweile knurrt mein Magen und in die Berge komme ich vor Sonnenuntergang auch nicht mehr. Alternative zu Wild Camping: Campingplatz Trevelez für 10,- pro Nacht. Also schnell das Zelt aufbauen und dann ins Dorf zum Abendessen. ‘Schnell’ ist allerdings relativ. Kaum ein Hering lässt sich in den steinigen, knüppelharten Boden schlagen ohne das er sich verbiegt. Hoffentlich wird das die nächsten Tage in den Bergen besser. Geiz ist halt nicht immer Geil! Der Preis des Zelts macht sich bemerkbar. Egal, ab ins Dorf und was Essen.


Trevelez könnte als Muster für einen Andalusien Reiseführer dienen. Mir kommt es so vor, als würden die Uhren hier noch anders gehen. Kühe stehen am Straßenrand, ein Eselskarren transportiert Steine, im Café am Dorfplatz spielen alte Spanier Domino, überall enge, verwinkelte Gassen, weiße Häuser, kleine Tavernen und überall Schinken. Laut einem Freund aus der Sprachschule ist Trevelez bekannt für seinen Serano-Schinken, es soll der Beste in ganz Andalusien sein. Wer wäre ich also, würde ich ihn nicht testen. Die Taverne ‘Meson del Jamon’ sieht einladend aus und heißt quasi auch Gaststätte des Schinkens. Ich bin der einzige Gast. Zu meinem Bier bekomme ich direkt eine Tapas – ein Meeresfrüchtesalat. Als Hauptgericht bestelle ich nicht lediglich Schinken, sondern eine komplette Platte laut Empfehlung des Hauses mit gebratener Blutwurst, Chorizo, Bratkartoffeln, Spiegelei und natürlich Serano Schinken. Was ein Traum, ich hätte nie gedacht, dass gebratene Blutwurst so lecker schmecken kann. Liebe Englische Freunde, hier könntet ihr euch für euren Black Pudding mal ein Beispiel nehmen. Und das ganze im Komplettpreis mit Bier und Kaffe für unter 10,- Euro. I like!
Samstag, 06:00: Die verdammten Billigheringe lassen sich auch noch so richtig schwer herausziehen. Mit meiner Stirnlampe auf dem Kopf und leise vor mich hinfluchend packe ich meine Sachen und versuche dabei möglichst wenige der anderen Camper aufzuwecken. Ich möchte vor Sonnenaufgang auf der Streck sein und bis Mittag mein Etappenziel 7 Lagunas erreichen. Es läuft erstaunlich gut. Es ist 6:30 als Trixers Auto den Campingplatz verlässt. Ich parke in Trevelez direkt am Dorfplatz gönne mir noch einen schnellen Café. So etwas wie ‘To-Go’ gibt es hier noch nicht. Gemütlichkeit ist Trumpf. Morgendämmerung. Ich beginne meinen Marsch. Heute geht es 1.500 Meter weit nach oben, mit circa 16-17 Kilo und Verpflegung für 3 weitere Tage auf dem Rücken. Die anfängliche Ruhe der Natur wird relativ schnell durch weitere Trekker gestört. Allem Anschein nach, sind die 7 Lagunas ein beliebtes Ausflugsziel für zahlreiche Andalusier, die teilweise professionell ausgerüstet, teilweise in Sandalen und mit einer Flasche Wasser in der Hand bewaffnet einen Tagesausflug unternehmen. Die letztere Spezies erinnert mich eine wenig an das Musterbeispiel eines naiven Kapstadttouristen, der sich 4 Stunden vor Sonnenuntergang mit Muskelshirt, Flip-Flops und 0,5 l Wasser den Tafelberg hinauf quält, im festen Glauben daran, dass die zu überwindenden 1.000 Höhenmeter einfach zu erklimmen seien, dass selbstverständlich absolut kein Temperaturunterschied besteht und dass der Rückweg problemlos mit der Seilbahn zu bewerkstelligen ist. Doof wird es dann erst, wenn diese Touristen nach 3 Stunden kräftezehrendem Aufstieg über Platteklipp oben angekommen feststellen, dass sie vielleicht doch gerne eine Jacke zum drüberziehen hätten, das Café geschlossen ist und die Seilbahn wegen schlechter Wetterverhältnisse nicht genutzt werden kann. Was nun? Manche Spezies kann ich einfach nicht verstehen. Die kommen mir eher vor wie ein Rührei auf Füßen (Bernd Stromberg).


Über die Gipfel der Berge schimmern langsam die ersten Sonnenstrahlen und die Temperatur beginnt minütlich zu steigen. Es wird Zeit für meine Sonnenbrille. Meine Sonnenbrille? Wo zum Geier ist meine Sonnenbrille? Neeeeeeiiiiin! In Trixers Auto! Habe ich vor zwei Sekunden noch über schlecht vorbereitete Menschen gelästert? Was bin ich für ein Trottel. Unfassbar. Ab zurück ans Auto…aber ohne Rucksack. Den verstecke ich im hohen Gras und hoffe darauf, dass a: ihn keiner Klaut und b: ich ihn wieder finde. Jetzt kommt das peinliche. Umdrehen und bergab. Vorbei an den Sandalenträgern und Tagesauflüglern. “Que pasa tio? Ya volves? Estas cansado?” (Was geht Junge? Gehst schon zurück? Bist erschöpft?) – Ich brech gleich in Tränen aus. “No pasa nada, solo hago un poco deporte, me gusta correr arriba y abajo” antworte ich, so als ob die Frage an sich schon eine Frechheit wäre. (Nichts passiert, mach nur ein bisschen Sport. Renne gerne den Berg hoch und runter). 60 Minuten und 20 Kurzgespräche später stehe ich wieder am selben Punkt, Rucksack gefunden, Brille auf der Nase und Schamesröte mit Sonnencreme überschminkt. Weiter gehts. Rein orientierungsmäßig ist das bislang wirklich kein Kunststück, selbst der Pfälzer Waldwanderverein könnte die Wege nicht besser ausschildern und aufbereiten. Physisch betrachtet käme so mancher Pfälzer jedoch an seine Grenzen. Der teilweise steil bergauf gehende Weg ist kräftezehrend, zeitgleich jedoch (Achtung, jetzt kommen die Reiseführer-Lieblingsworte) malerisch und idyllisch. Das Landschaftsbild ändert sich alle 60 Minuten, respektive 300 Höhenmeter. Als ich Trevelez verlies, verlief der Weg durch dicht bewachsene, grüne Felder mit vielen kleinen Bächen, wuchernden Farnen und hochgewachsenen Bäumen. Ein Stück weit höher folgten dichte Kiefernwälder ehe ich jetzt bei etwas über geschätzt 2.200 Meter die Baumgrenze erreiche. Das Grün wird zu Grau, die Bäume und Sträucher werden zu Sand und Felsen. Entlang der wenigen Bergflüsse schlängeln sich grüne Adern. Die letzten 2-3 Stunden meines Tagestrips wandere ich laut Karte entlang dieser Flüsse bis zur ersten der sieben Lagunen.



14 Uhr: Nach einem letzten, 100 Meter hohen, steilen Anstieg erreiche ich Laguna Hondera (ich bin gewillt wieder malerisch und idyllisch zu schreiben, lasse es aber an dieser Stelle). Aber was ist hier denn los? Bin ich auf einem Campingplatz angekommen? Die erhoffte Einsamkeit der Sierra Nevada bleibt zunächst einmal aus. Flip Flop Träger, Tages Trekker und sogar einige andere Camper sonnen sich rund um die Lagune, vespern oder starten weitere Wanderungen zu den nahegelegnen Gipfeln. Was solls, schön ist es hier trotzdem. Hier bleib ich! Das Wasser der Lagune ist kristallklar und wie mein Fußzeh mir vermeldet, arschkalt. Die Sonne brennt, ein leichter Wind geht, der Boden ist perfekt für meine maximal minderwertigen Heringe und bis auf entferntes Getratsche ist es absolut ruhig…entferntes Getratsche?! Moment, ich versteh das Getratsche. Es hört sich ähnlich dem Deutschen an…da campen doch tatsächlich zwei Bayern 100 Meter neben mir und unterhalten sich lautstark übe den perfekten Platz für den Aufbau Ihres Zelts: “Jo mei, do dods boassn!” “Bisch verriggt, do hoamma en viiiel zwaicha unnagruand!” …oder so ähnlich. Sehr witzig. Mittlerweile sind auch schon die ersten Spanier nackt in den arschkalten See gesprungen, quasi genau in die Wasserquelle, aus der ich Koch- und Trinkwasser beziehe. Na hoffentlich finde ich heute Abend kein Harr in der Suppe. Für mich ist der Trekking Tag jetzt mehr oder weniger zu Ende, Ziel erreicht, Zelt steht. Jetzt noch Essen zubereiten und dann einfach chillen. Auf der Speisekarte steht heute: Spaghetti mit Tomatensoße, Thunfisch, Sardellen und Knoblauch – frisch auf dem Gaskocher zubereitet. Läuft. Naja, mehr oder weniger. Irgendwie merke ich, dass es schwierig wird, auf einem Gaskocher gleichzeitig die Nudeln abzukochen, den Knoblauch anzuschwitzen und den Thunfisch anzubraten. Scheiß drauf, einfach alles in einen Topf und heiß machen, wird schon klappen. Nach 10 Minuten stelle ich fest: Hat geklappt, es ist etwas zu Essen, es ist warm….geschmacklich bewegt es sich allerdings in einer Grauzone und ist vergleichbar mit Leons Rühreiern mit Hackfleisch.



Sonntag, 06:00 Uhr: OH MY GOD, die erste Nacht war arschkalt, alle 30 Minuten habe ich ein neues Kleidungsstück aus dem Rucksack gekramt und drüber gezogen. Ohne Erfolg. Erholsamer Schlaf – Fehlanzeige. Jetzt muss ich schnell meine Sachen packen und los wandern, damit ich wieder warm werde. Es ist noch immer dunkel und ich wandere in den Sonnenaufgang hinein – einfach herrlich. Einerseits wegen der beeindruckenden Natur und des tollen Farbenspiels, wenn sich die Sonne sich langsam hinter den Bergen zu zeigen gibt; andererseits weil es minütlich wärmer wird und ich langsam wieder Gefühl in den Gliedern bekomme. Heute bin ich auch wirklich alleine, keine witzig redenden Bayern, nackten Spanier oder Flip-Flop tragenden Tagesausflügler – einzig eine Herde von 20 iberischen Steinböcken begleitet mich. Ausgeschilderte Weg sind ebenfalls Fehlanzeige, ist aber auch nicht notwendig, das Orientieren teilweise querfeldein mit Karte und Kompass funktioniert einwandfrei…naja, beinahe einwandfrei.



Mittlerweile ist es kurz vor Mittag aber FUCK, was ist das für ein Weg hier bzw. eben kein Weg. Ich bin circa 200 Höhenmeter unterhalb meines Zwischenzieles und die als Wegmarkierung gesetzten Steinhaufen führen in die falsche Richtung. Umkehren und 2 bis 3 Stunden Umweg in Kauf nehmen? Tagesziel Alcazaba aufgeben? Oder einen relativ steilen, schmalen Pfad zwischen zwei Steilklippen hochklettern? Vernunft und Ehrgeiz tragen gerade eine hitzige Diskussion aus und es scheint als gewänne Ehrgeiz, denn ich beginne bereits mit Klettern. Anfänglich ist der Weg noch einigermaßen einfach aber jetzt klettere ich bereits auf allen Vieren in der Steinlawine. Immer wieder rutschen Steine weg, auf denen ich Halt suche und meine Wanderstöcke erweisen sich als bester Einkauf für diese Tour. Umkehren ist jedoch unmöglich, der Weg nach unten erscheint mir schwieriger als bergauf. Nach 60 Minuten mit gefühlten 15 Pausen bin ich oben, nur noch 500 Meter entfernt von meinem Tagesziel Alcazaba. Der Rest ist ein Kinderspiel, Aufstieg Alcazaba, Abstieg über die Siete Lagunas zu meinem Zeltplatz, relaxen. Alles in Allem eine Wanderung von knapp 10 Stunden. Da freue ich mich doch auf ein leckeres Abendessen und mache davor sogar noch selbst den Spanier und springe nackt in den See. Circa 10 Sekunden – WTF ist das Kalt!!! Wie machen die Spanier das? Ahja, Körperbehaarung! Ein Jeti trägt im Everest auch keine Jack Wolfskin Softshell! Apropos leckere Essen – es gibt das gleiche wie gestern, nur der Thunfisch ist aus. Es wird also wieder eher nur Essen ohne lecker. Nach den Strapazen des Tages freue ich mich aber darauf. Und ich werde definitiv besser vorbereitet in die Nacht gehen und sämtliche warmen wie auch nicht warmen Kleidungsstücke mit in den Schlafsack nehmen, wenn nicht sogar vorher anziehen.



Montag, 06:00 Uhr: Viel viel besser…lange Unterhosen sind halt einfach eine feine Sache, die sollten wieder gesellschaftsfähig werden. So beginnt der Tag auch gleich viel angenehmer und die ersten 100 Höhenmeter in Dunkelheit laufen wie geschmiert. Während des ganzen Anstieges auf den Mulhacen, den höchsten Berg Andalusiens, habe ich eine tolle Aussicht auf die aufgehende Sonne und wie die Siete Lagunas langsam vom Licht der Sonne ergriffen werden. Zu dumm, dass ich kein guter Fotograf bin und ISO Werte, Blendenöffnung oder Belichtungszeit für mich derzeit nur Worthülsen darstellen, mit denen ich lediglich um mich werfe, wenn ich genau weiß, mein Gegenüber ist noch ahnungsloser. Ansonsten könnte man hier echt schöne Bilder machen. Frühstück um 8:45 auf 3.478 Meter – hat auch was. Trotz das Wurst und Käse nach drei Tagen im Rucksack unter ständiger Sonneneinstrahlung nicht mehr die beste Konsistenz aufweisen und das Knäckebrot eine Transformation zu tausend Knäckekrümel durchlebte. Ab jetzt geht es nur noch bergab, um genau zu sein 2.000 Meter bergab zurück nach Trevelez, wo hoffentlich Trixers Auto wartet und nicht wieder abgeschleppt wurde. Das ist jetzt wirklich der anstrengendste Part, meine Knie spüren jeden Höhenmeter und die 16 bis 17 Kilo auf dem Rücken machen es nicht einfacher. Der Abstieg soll diese tolle viertägige Tour jedoch nicht schmälern. Im Gegenteil, bislang war das Camping bei den Siete Lagunas die erfahrungsreichste und landschaftlich beeindruckendste Tour, die ich seit meinem Start im Mai unternommen habe.
Hört sich richtig cool an! Mal sehen, was du dann erst vom Himalaya berichtest! 😀