Eine Woche Aushilfs-Herbergsvater

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Tag 202 bis Tag 212, Samstag 22.11. bis Dienstag 02.12.2014 – Herbergsvater und Putzfrau im Discovery Guesthouse Melaka – so fühlt sich also richtiges Arbeiten an, eine bislang unbekannte Erfahrung.

Möchte irgendeiner meiner Facebook Freunde eine Woche im Discovery Guesthouse meinen Job übernehmen? ich muss kurz außer Landes um mein Visum zu erneuern.lautet Alan’s Post auf Facebook Mitte November. Alan, ein Aussteiger aus England, der seit 20 Jahren um die Welt reist und momentan in Melaka ein Guesthouse führt. Warum eigentlich nicht, denke ich mir. Leute ein- und auschecken, ab 22 Uhr für Ruhe sorgen, dämliche Fragen beantworten und den ganzen Tag dummes Zeug quatschen habe ich 12 Jahre professionell beim Bund gemacht. Mehr ist Dein Job doch nicht, oder Alan? Gemeinsam mit Becca, einer ebenfalls Langzeitreisenden aus Amerika, habe ich also zugesagt, Ende November für eine Woche das Guesthouse zu schmeißen.

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Mein Freund der Besen
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Meine Freundin die Waschmaschine
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Panorama-Faltweise im Dreibett hinten links

Schon bei der Ankunft in Melaka wird allerdings klar: Ganz so einfach und entspannt wird das nicht. Alan hat 3 Tage Einweisung eingeplant! 3 TAGE. Meine Aufgaben: Naja im Prinzip die ganze Bandbreite des Beherbergungsgeschäftes, denn es gibt hier nur Alan. Ich werde Gästen einchecken, Zimmer putzen, Betten beziehen, Wäsche machen, Duschen und Toiletten putzen, Müll entsorgen, Kaffe und Tee bereitstellen, Einkaufen gehen, Fegen, Wischen, Abstauben, Fenster putzen und – ganz wichtig – Moskitos bekämpfen. Ein 24/7 Job. Trotzdem, so ganz klar ist mir die Sinnhaftigkeit von 3 Tagen Einweisung zunächst dennoch nicht. Erst als es losgeht, verstehe ich Alan’s Ansatz: Er weißt uns tatsächlich in ALLES ein. Wie benutze ich einen Besen korrekt? Wie verwende ich Glasreiniger? Oder wie hänge ich Wäsche zum Trocknen auf? Alle Tätigkeiten können selbstverständlich nur auf eine einzige Art und Weise ausgeführt werden, Alan’s Art. Zugegeben, das Guesthouse ist eines der saubersten, in dem ich je geschlafen habe und Alan ist ein Perfektionist. Er könnte gemeinsam mit Heinz Hormann oder Günter Rach Hoteltester sein. Sein Motto: ‚Suche den Schmutz! Haare sind Dein größter Feind‘. Allerdings ist es manchmal auch nur ein schmaler Grat zwischen perfektionistisch und pedantisch. Die akribisch genaue Faltweise der Bettdecken bspw. erscheint mit in letzterer Kategorie zuhause. Nicht nur, dass sämtliche Bettdecken einzelnen Zimmern zugeordnet sind, es existiert für jedes Zimmer zudem eine unterschiedliche Faltweise der Decken! Und die muss ich lernen! „Die Bärenbettdecken im Vierbettzimmer müssen möglichst klein gefaltet werden, oben die beiden Blauen, unten die Roten…oder umgekehrt aber niemals über Kreuz!“ oder „Guter Ansatz Daniel, Du wolltest hier im Kleinen Doppel genau so falten wie im anderen Zweibettzimmer. Aber diese Bettdecken sind aus einem anderen Stoff! Geht also nicht“ – What the F***, und deswegen muss ich in Din A4 anstatt Panorama-Format falten? Weil der Stoff dicker oder dünne ist? Zum Glück hat er keine Rauten, Kreise oder Dreiecke als Wunschmuster für die Bettdecken Faltung. Eine seiner Erklärung finde ich dennoch witzig: „Die Angry Bird Bettdecken kommen immer immer immer in das Mädchen Viererzimmer. Weißt warum? In England sagen wir zu Mädels Birds und Angry, naja, ist ja selbsterklärend. Hahaha!“. Dennoch ist genau so ein Typ die Idealbesetzung für einen Hebergsvater: Enorm hoher Qualitätsanspruch und ausgeprägtes Sauberkeitsgefühl – da bin ich gerne Gast.

Bereits einen Tag nach Alan’s Abreise sind sämtliche Faltkonzepte und Bettdecken-Zimmer-Zuordnungen vergessen. Ab jetzt gibt es überall Panorama-Format und die gerade verfügbare Bettdecke. Okay, die Angry Bird Geschichte behalte ich bei, die finde ich witzig. Komisch, dass ich mir gerade das merken konnte. Aber ernsthaft, ich denke nicht, dass ein Gast kommt und sich beschwert, weil er im Bärenzimmer plötzlich grüne-blau gestreifte Bettdecken vorfindet. Zumindest habe ich bei Trip Advisor noch nie gelesen ‘Im Prinzip alles gut aber die Bettdecken waren als Quadrat gefaltet, geht ja gar nicht!

IMG_3670Die Einweisung als Moskito- und Ameisenjäger ist ungefähr ebenso akribisch. 24/7 müssen Anti-Moskito-Kerzen brennen, in jedes Zimmer wird Moskitospray gesprüht, niergends ist ‚stehendes Wasser‘ gestattet (da Brutplatz für Moskitos), jeder Eingangsbereich wird mit irgendeinem Reinigungsmittel besprüht (Ameisen sterben darauf einen Sekundentod) und im Putzwasser für den Boden ist neben Reinigungsmittel noch ein Insektenschutzmittel – aber es hilft. Wir haben ein nahezu Insekten freies Guesthouse. Beim Wäsche aufhänge auf dem Dach entwickelt sich zu diesem Thema folgendes Gespräch: „Hey Alan, was sind denn das für zwei große Behälter hier?“ – „Das ist das Notfallwasser für die Duschen, falls die Leitungen mal ausfallen!“ – „Aber das ist dich ein ‚stehendes Gewässer‘ und Brutplatz für Moskitos!“ – „Ja“ – „Das wollen wir doch aber nicht, oder?“ – „Deswegen schütte ich auch jede Woche in jeden Behälter 6 Liter ätzendes Reinigungsmittel. Sobald da ein Moskito landet, wird er gegrillt!“ – tatsächlich liegen geschätzt 100 tote Fliegen darin – „Aber was wenn wir das Notwasser brauchen?“ – „Haben wir bisher noch nie gebraucht!“. Okay, auch ne Herangehensweise an die Geschichte. Hoffentlich gibt es keinen Wasserausfall, während ich da bin….oder zumindest nicht, während ich dusche!

Die Einweisung in das technische Arbeitsgerät ist auch ein Highlight. Die 10 Jahre alte Waschmaschine ist noch das neueste Gerät. Der PC läuft mit Windows 95, das Arbeitshandy ist ein Nokia 3110. „Bitte bei SMS immer auf die Wortzahl achten. Wenn ihr mehr als 144 Buchstaben schreibt, gibt es zwei SMS, das muss nicht sein!“. Junge, das war im letzten Jahrtausend mal so! Das ganze Guesthouse wird prinzipiell über SMS und Excel geführt. Michael, der für die Buchungen und Abrechnungen verantwortliche Manager sitzt eine Straße weiter in einem Café und administriert das Excel Blatt – zumindest theoretisch. Am Morgen werden jedoch zuerst die wichtigen Sachen erledigt. Facebook Status updaten, Kaffe trinken, Zeitung lesen etc. Erst danach werden die Buchungen für den Tag aktualisiert, so dass es immer spannend ist, wie viele Gäste kommen. Eine andere Arbeitsweise eben, mein deutsch ausgerichteter Verstand kommt da manchmal nicht ganz klar mit.

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Gäste im Discovery Guesthouse

Aber wir haben Gäste…und was für welche. Berlin Tag und Nacht in Melaka. Chinesen, Malayen (die zu sechst im Dreibettzimmer schlafen), 18 unter anderem Karlsruher Praktikanten aus Singapur, Backpacker aus aller Welt und eben auch die Lueder Schwestern aus Berlin! Mit den Beiden bin ich ein wenig überfordert! Die holen keine Luft, die quatschen am laufenden Band; gleichzeitig; über unterschiedliche Themen. Während die Eine von ihrer ‚Mirror Reflex Camera‘ (wörtliche Übersetzung der Spiegelreflexkamera) schwärmt und breit erklärt, wie man mit der Unterwasserfunktion vor allem in der Nacht tolle Aufnahmen macht, auch wenn die Wirklichkeit total scheisse aussieht, versucht mit ihre Schwester zu erklären, dass ich mich nach dem Duschen immer eincremen muss. Besonders bei diesen schwülen Temperaturen. Das hält dann nämlich schön kühl und konserviert. Wie bitte? Ich Vollpfosten probiere es dann wider besseren Wissens auch noch aus und natürlich schwitze ich wie bekloppt. Das kann ja nicht funktionieren. Wieso lasse ich mich auf so einen Käse ein! Gelassen sage ich „Jenni, irgendwie funktioniert das bei mir mit dem konservieren und kühl bleiben nicht so richtig!“ – „Ja Daniel Schatzi, Du musst dann halt schon in einen klimatisierten Raum gehen!“ – „Was?“ – „Ja das funktioniert nur mit Klimaanlage! Nur dann bleibst kühl!“. Ich breche ab. Also in nem Raum mit Klimaanlage hält die Körperlotion schön kühl! Nicht etwa die auf 19 Grad eigestellte Klimaanlage? Aaaah. Aber ich bin selbst Schuld. Wieso glaube ich so einen Käse. Ich geh also nochmal duschen. Einstimmigkeit besteht bei den Lueders dann in der Aufregung, dass es in der Monsunzeit tatsächlich auch jeden Tag regnet. Das war nun wirklich nicht zu erwarten. Ist ja fast so außergewöhnlich wie Schnee in Island im Dezember oder das Lothar Matthäus nochmal geheiratet hat. Mädels, mit Euch waren es wirklich die bislang witzigsten Stunden meiner Asienreise. Ich hoffe, wir laufen uns noch einmal übe den Weg.

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Mit Jochen auf dem Nightmarket
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Gesang und Tanz

Zufälligen kommt auch noch Jochen zu Besuch, ein Kommilitone aus Ludwigshafen. Schon komisch, sich fast am anderen Ende der Welt in einem Guesthouse zu treffen. Gemeinsam mit Valerie schlemmen wir uns durch den China Nightmarket und hören den Asiaten beim Karaoke singen zu. Irgendwie habe ich das Gefühl, die singen alle dasselbe Lied. Zu allem Übel beginnt es auch noch zu nieseln – für die Asiaten ist das wie ein Monsunregen und in Sekundenschnelle sehen wir nur noch Regenschirme. Sämtliche Läden, egal ob vorher Essen, Souvenirs oder Henna Tattoos angeboten wurde, verkaufen jetzt ‚Notfall-Regenjacken‘. Notfall? Ist das Saurer Regen? Was passiert hier? Blöd ist zudem, dass der durchschnittliche Asiate sogar kleiner als ich ist (ungefähr Janina Größe). Dementsprechend haben wir die Regenschirme auf Augenhöhe und es entwickelt sich ein Spießrutenlauf!

Länger an einem Fleck zu sein birgt auch den Vorteil, endlich mal wieder eine Stammkneipe zu haben. Honkey Tonk Melaka. Der Besitzer ist Schotte, der Barkeeper Schwede, die Aushilfe Holländer, der Hausmeister Nepali und der Koch ebenfalls Schwede. Im Prinzip sind da mehr Angestellte als Gäste pro Tag. Dementsprechend gestaltet sich auch das Geschäftsprinzip: Alle Angestellten haben Kost und Logie frei und sind auch die besten Kunden. Von den Einnahmen des Vortages, werden die Vorräte für den aktuellen Tag besorgt. Reserven existieren nicht. Vorteil: Jeden Tag gibt es (theoretisch) frisches Essen. Nachteil: Essen gibt es nur, wenn am Vortag auch genug verkauft wurde (und die Angestellten nicht zu viel getrunken haben ;-)) – denn ehe die Zutaten für die Speisen aufgefüllt werden, wird der Biervorrat aufgefüllt. Das ist immerhin gut durchdacht und logisch. Ach ja, und falls an einem Tag mal zu lange gefeiert wird, bleibt am nächsten Tag einfach geschlossen…oder man macht erst um 20 Uhr auf. Da ist man flexibel. Die besten Gäste sind ja eh die Angestellten. Ich würde wahrscheinlich wahnsinnig werden.

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To-Do Listen und Check-Boxes

Wahnsinnig werde ich nach mittlerweile 5 Tagen auch mit meiner Co-Hostel-Chefin. Eine hoch intelligente Person aber praktisch oft ein wenig chaotisch und unorganisiert. Alles geschieht in To-Do Listen und Check-Boxen (was theoretisch für Organisation spräche aber in Wirklichkeit nicht tut). Was nicht auf Listen steht, existiert nicht als Aufgabe. Zudem nimmt sie Alan’s Perfektionismus zu ernst. 10 Minuten um ein Laken auf eine Matratze zu ziehen nur um alle Falten raus zu bekommen ist einfach Quatsch, egal wie gut das Endprodukt aussieht. Zum Test ihrer Aufmerksamkeit habe ich mir gestern den Spaß erlaubt, leere Flaschen mitten auf den Flur in Richtung Ausgang zu positionieren. Sie hat es geschafft, permanent drüber zu steigen und sie zu ignorieren – stand eben nicht auf der To-Do Liste! In unserer internen Hierarchie ist sie dennoch die Chefin – sie hat unser Dienstdandy Nokia 3110 und ist Herrin des Computers. Mir soll das recht sein, Nicht-Denken ist auch mal ganz nett und mit Betten beziehen, Toiletten und Duschen putzen, Boden wischen und Wäsche machen bin ich auch ganz gut bedient. Ich schwitze sogar beim Arbeiten. Das ist mir bisher noch nie passiert. Jetzt weiß ich endlich einmal, wie sich richtiges Arbeiten anfühlt…..Scheiße! Vor allem für meinen Lohn: Unterkunft, Frühstück (zwei Scheiben Weißbrot mit Butter und Marmelade) und 20 Ringgit pro Tag. Kinder in einer indischen Primarkt Fabrik verdienen mehr als ich! Da bin ich doch echt froh, dass die letzten beiden Tage sich wenig Gäste angemeldet haben und ich meine gesamten Einkünfte für Fußreflexzonen-Massagen und Honkey Tonk Bier ausgeben kann.

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Reis und Gemüse mit Fingern
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Dumpling Frühstück

Sonntags lädt der Chef des Hauses, Bob, zum Dumpling Frühstück ein. Ist ja nicht so, dass Sonntag Früh 24 Gäste auschecken wollen. Bob ist das egal, um 9 Uhr gehen wir Frühstücken, Basta! Mir soll es recht sein. Dumplings sind mit Fleisch oder Gemüse gefüllte Teigtaschen und kleine, gekochte Fleischbällchen mit Gemüse. Sie sind ein traditionell chinesisches Frühstück und wir werden gezwungen, sie mit Stäbchen zu essen. Nach 7 Tagen indischem Reis, Dhal und Gemüse mit Fingern zu essen, wirkt das Werkzeug in den Händen ein wenig befremdlich. Aber läuft! Erschreckend gut sogar. Nur mit dem Tee habe ich es nicht ganz so. Als endlich alle Familienmitglieder von Bob eingetroffen sind, schütte ich die kochend heiße Teekanne über den ganzen Tisch und meine Beine. Scheiße ist das heiß…aber Lächeln ist angesagt. Die versammelten Chinesen lachen zumindest über mich…oder mit mir? Wer weiß das schon, außer Bob spricht niemand Englisch. Trotzdem ist es eine tolle Stimmung und auch ohne die gleiche Sprache zu sprechen, verstehen wir uns. Danke Bob, für diese tolle Einladung. Das Guesthouse gleicht einem Chaos, als wir zurückkommen. Toiletten stehen unter Wasser. Aber da muss man einfach mal cool bleiben…ich creme mich mit einer kühlenden Lotion ein…und mach ein Nickerchen im klimatisierten Raum. Das steht so auf meiner gerade eben aktualisierten To-Do Liste!

Fazit: Knapp 10 Tage Hostel Job war eine tolle Erfahrung…Alan hat mir gezeigt, wie man ein Hostel menschlich und mit hohem Qualitätsanspruch führt. Danke dafür! Jedoch richtig Arbeiten ist irgendwie nicht so meins. Das wisst ihr ja aber schon!

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