Bolivien – Wo baut man hier das Zelt auf?

DSC_7922Tag 736 bis Tag 749, Mittwoch 04.05. bis Dienstag 17.05.2016 – Dem Tode nahe: Ob vom LKW im Schlaf überfahren oder mit dem Mountainbike die Death Road runter – in Bolivien gibt es viele Arten zu Sterben. 

Zwischen San Pedro de Atacama, Chile, und Uyuni, Bolivien‚ gibt es keinen klassischen Busverkehr. Der ‚normale’ Transport erfolgt mit einer 4×4 Tour durch den Nationalpark Eduardo Avaroa und den Salar de Uyuni. Mit Wolf und Angus kein Problem. Bei den Touranbietern lassen wir uns kurz vor Abfahrt noch Strecke (Off-Road), Übernachtungsmöglichkeiten (wenige Refugios) und Versorgungslage (eher schlecht) beschreiben und verlassen dann nach über drei Monaten Chile und Argentinien. Unmittelbar nach der bolivianischen Ein-Mann-Grenzstation wird die ‚Straße’ rapide schlechter. So schlecht, dass die Rally Dakar diese Strecke als Etappe in ihr Programm aufgenommen hat. Der Hauptweg ist knüppelhart mit tiefen Spurrillen und großen Steinen. Rechts und links des Weges führen zahlreiche kleinere Spuren einfach querfeldein grob Richtung Norden. Man fährt hier einfach wie man möchte und wo man denkt, dass Auto käme am besten zu recht. Spitze! Das ist Off-Road in Bolivien.

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Laguna Verde

Nationalpark Eduardo Avaroa

Von der Laguna Verde, die sich ab 12 Uhr durch die Mittagssonne von dunklem blau in tolles grün verfärbt, fahren wir zum höchstgelegenen Geysirfeld der Welt auf 4.900 Meter: Sol de Manana. Selbst mitten am Tag steigen hier die heißen Fontainen in den Himmel und die matschige Erde blubbert vor sich hin.

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Geysirfeld Sol de Manana
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Wild Campen bei Flamingos
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Flamingos Laguna Colarada
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Morgenspaziergang

Hier wäre Zelten keine schlechte Idee, denn der Boden ist überall schön warm. Unser Tagesziel ist allerdings die Laguna Colarada, wo wir in einem Refugio übernachten. Auf dem Weg passieren wir endlich die 5.000 Höhenmeter-Grenze. 5.050 Meter erreichen wir bei der bolivianischen Zollstation. Junge ist das Atmen hier schwierig. Am Refugio an der Lagune stoppt auch eine 4×4 Tour mit fünf Brasilianern und einem Schweizer. Auf 4.400 Höhenmetern trinken wir Wein, ein Brasilianer spielt Gitarre und wir kauen Kokablätter. Letzteres ist eine Eigenart vor allem der Bolivianer, die dadurch Höhenkranheit bekämpfen aber vor allem auch Hunger und Durst unterdrücken. Für Wolf und mich ist es eher ein komischer Geschmack. Als ob man sich Pfefferminzteeblätter in den Mund steckt…und dort zwei Stunden lässt. Die Wirkung ist bei mir eher entgegengesetzt, ich habe am nächsten Morgen so richtig Kopfschmerzen. Könnte aber auch am Wein liegen.

Neben toller Landschaft sehen wir in den Lagunen vor allem auch viele Flamingos. An einer der Lagunen soll laut Guide ein windgeschützer Platz zum Wild Campen sein. Leider sind die Mauern, die den Windschutz bieten, auch bei anderen Touristen sehr beliebt, die ihr Geschäft verrichten müssen. „Also entweder wir zelten in der Kacke von den Touris oder im eiskalten Wind!“ – eine Entscheidung, die nicht sonderlich schwer fällt. Lieber frier ich mir den Arsch ab….was wir dann auch tun. Der Abendwind auf dem Altiplano bei über 4.000 Meter ist die Hölle. 17:00 Uhr sitzen wir bereits in Angus, kochen Spaghetti Pesto und spielen Backgammon. Pasch-Königin Knofe ist mit normalen Mitteln nicht zu schlagen. 20 Uhr liegen wir in den Schlafsäcken. Hier ist es wenigstens warm. Der sonnige Morgen belohnt uns für diese Strapazen. Flamingos kommen bis auf wenige Meter an uns heran. Herrlich. Nach einer weiteren Etappe Rally Dakar erreichen wir abends den Salar de Uyuni. Am Rand der riesigen Salzpfanne finden wir einen perfekten Platz zum Campen. Zum Sonnenaufgang wandere ich auf den höchsten Hügel der Gegend und genieße eine wundervolle 360 Grad Aussicht. Menschen gibt es hier keine, nur Kakteen.

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Rally Dakar Strecke
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Suchbild: Wo campen wir?
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Salar de Uyuni – wir kommen an!

Salar de Uyuni

12.000 Quadratkilometer Salzwüste – der Salar de Uyuni ist extrem lebens-unfreundlich. Keine Pflanzen, keine Tiere, kein Wasser. Leidglich eine meterdicke, weiße Salzkruste bedeckt den Boden – so weit das Auge reicht. Für Angus ist es die beste ‘Straße’ seit vier Tagen. Wobei es sich mehr wie auf Glatteis anfühlt. Fahren können wir ebenfalls einfach querfeldein. 14 Uhr schlagen wir mitten in der Wüste unser Zelt auf, genießen die Sonne und schießen Fotos. Alle 30 Minuten sehen wir ein Auto vorbei fahren, ansonsten ist hier nix! Was leider nicht für den Wind zählt. Wie üblich beginnt er am frühen Abend über die Salzpfanne zu pfeifen und es wird schlagartig kalt. Egal. Wir verkrümeln uns in Angus, beziehungsweise um 21 Uhr in unser Zelt. Wolf fotografiert derweil noch die Milchstraße bei Neumond.

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Zelten in der Salzwüste bei Neumond 

Hey, da kommt einer auf dem Fahrrad! Der macht immer das Licht an und aus!“ informiert uns Wolf während er fotografiert. „Komisch, jetzt sehe ich kein Licht mehr. Nicht das der sich anschleicht.“ Langsam machen wir uns auch im Zelt Gedanken, dann hören wir aber 20 Minuten nichts mehr. „Hey Leute, das ist komisch, da fährt einer genau auf uns zu! Ich mach mal meinen Afrika-Suchscheinwerfer an!“ Ich schlüpfe wieder in meine Hosen und klettere aus dem Zelt. Da steht kein Fahrradfahrer oder Fußgänger, sondern ein ausgewachsener LKW, 10 Tonnen genau in unsere Richtung ausgerichtet vielleicht 150 Meter vor unserem Zelt. Das ist komisch! „Wolf, ich lauf mal hin. Haben wir Axt und Machete bereit?“ Nach kurzem Gespräch mit dem Fahrer stellt sich heraus, dass er die Insel Incuahasi sucht. Mit Licht sieht er immer nur die nächsten 50 Meter, ohne Scheinwerfer orientiert er sich auf der weißen Salzpfanne am Horizont. Soweit logisch. Allerdings sieht er ohne Scheinwerfer das klitzekleine Zweimannzelt nicht, dass fast genau auf seinem Weg liegt. Stellt aber auch kein Hindernis für ihn da. Da musst du in der 12.000 Quadratkilometer großen Salzwüste echt Angst haben, dass dich nachts ein Truck überrollt. Heute schlafen wir ausnahmsweise mal mit Licht im Zelt. Wir überleben. Als Belohnung genieße ich einen der schönsten und vor allem einsamsten Sonnenaufgänge der Reise. Alleine auf einem Campingstuhl sitze ich mit Blick zum endlosen Horizont. Wolf und Susi drehen sich noch einmal im Schlafsack. Ich genieße die Stille während die ersten Sonnenstrahlen meine kalten Füße wärmen. Einfach genial.

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Insel Incahuasi
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Am Rand des Salar
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Kaffee in der Morgensonne

Land und Leute

Von Uyuni fahren wir mit Zwischenstopp Sucre nach La Paz. Selbst die Hauptstraßen verdienen das Prädikat ‚schäbig’ ausnahmslos. Tiefe Spurrillen erlauben Geschwindigkeiten bis maximal 80 km/h. Mehr geht nicht. Besonders beeindruckt sind wir während der Fahrt von den vielen kleinen bolivianischen Dörfern. Alte Frauen mit bunten Kleidern und langen Zöpfen sitzen auf der Straße. Koka kauende Männer arbeiten auf den Feldern. Kinder hüten Esel, Ziegen, Schweine und Lamas. Obwohl wir auf 3.500 bis 4.200 Meter Höhe sind, wirkt es um einiges wärmer und grüner als noch einige Tage zuvor in der chilenischen Hochebene, wo Landwirtschaft eigentlich unmöglich war. Als wir in La Paz ankommen ändert sich das Bild schlagartig. Der erste Eindruck ist: arm, verstopft und dreckig. Der Wohlstandsunterschied zwischen Chile/Argentinien und Bolivien wird vor allem hier deutlich. Während Santiago oder Buenos Aires beinahe den Eindruck europäischer Städte vermitteln, ist La Paz die Armut anzusehen. Mit einem Durchschnittseinkommen von 1.200 USD/Jahr zählt es zu den ärmsten in Südamerika.

DSC_7331Ruta de la Muerte – Death Road

Ich weiß nicht wie oft ich während der Reise schon einen Notfallkontakt angeben und die Abenteuer-Agentur bei Unfall und Tod von jeglicher Schuld freisprechen musste. Es waren definitiv nicht wenige Male. Heute heißt unsere geplante Aktivität Downhill Mountainbiking auf der Todesstraße. 64 Kilometer von 4.700 runter auf 1.200 Höhenmeter entlang steiler Berghänge meist ohne Leitplanken und auf Schotterpisten. Der Name kommt nicht von ungefähr. Viele Menschen sind hier bereits abgestürzt und gestorben. Wahnsinn. Aber was macht man nicht alles fürs Adrenalin. „Ne Ne, ihr braucht keine Mountainbike Erfahrung“ erklärt unser Guide. Ehe es losgeht müssen die Guides noch Lizenzen etc. bei der Verwaltung zeigen. Unter anderem müssen sie einen Alkoholtest machen. Haha, offensichtlich naschen die Guides gerne am Schnaps ehe es auf die Strecke geht.

Die ersten 20 Kilometer sind asphaltiert. Es ist die Hauptstraße aus La Paz Richtung Osten. Dementsprechend viel Gegenverkehr ist auf der Straße, die wir mit bis 80 km/h hinunterbrettern. Zum Vergleich: selbst mit Angus sind wir auch bergab nie schneller als 80 gefahren. Spurrillen und so. Bei Kilometer 40 beginnt die eigentliche Death Road. Ab hier geht es nur noch über Schotter und Steine. Rechter Hand steil nach oben, linker Hand ebenso steil nach unten. Mit 40 bis 60 km/h rasen wir hinunter. Wahnsinn. Hinter einer Kurve sehe ich plötzlich Wolf am Straßenrand mit ausgestreckten Armen. Eine unserer Mitreisenden ist gestürzt. Zum Glück nach rechts Richtung Fels und nicht über den Abhang. Wobei Glück relativ ist: trotz professionellen Helms mit Kinnschutz hat sie sich die Nase aufgerissen, als sie frontal im Geröll eingeschlagen ist. „Willst weiter mit dem Bike fahren oder lieber im Minibus?“ will der Guide völlig ohen Panik wissen. Im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern, die hysterisch um die Verletzte herumstehen, profundes Halbwissen über mögliche Behandlungsalternativen in die Runde schmeißen und am liebsten den Rettungshelikopter rufen würden. Junge Junge Junge. Das wird blau und grün und rot…aber sie überlebt.

Fadenscheinig in Sicherheit, lauert der Tot eigentlich erst nach der steilen Mountainbikestrecke. Die Rückfahrt im kleinen Minibus mit geschätzten 50 PS ist gefährlicher als alles vorangegangene. Bolivianische Autofahrer kennen weder Sicherheitsabstand noch angepasstes Überholen. Direkt vor einer Kurve oder einem Hügel wird überholt…da kommt schon keiner. Und falls doch einer kommt, fährt man eben dichter zusammen und schiebt sich irgendwie vorbei. Wahnsinn. Zudem ist Bolivien das mir einzig bekannte Land, in dem Rechts- und Linksverkehr vorkommen. Kein Witz. Im generellen herrscht Rechtsverkehr. Die Todesstrecke ist allerdings Linksverkehr. Das hat zur Folge, dass am Ende der Todesstraße, mitten auf einer normalen Landstraße plötzlich die Seite zu wechseln ist. Ein kleines Schild weist darauf hin. Wenn man das übersieht, hat man Gegenverkehr auf der eigenen Spur. Wahnsinn! Mittlerweile frage ich mich echt, ob mehr Menschen beim Downhill Mountainbike oder Uphill Minibus sterben.

Titicaca – ein See auf 3.812 Metern 

Der zweitgrößte See Südamerikas liegt an der Grenze zwischen Peru und Bolivien. Für uns ist es der letzte Stopp in Bolivien und ein wundervoller Ort um einfach mal nichts zu machen. Im kleinen Ort Copacabana (wie der Strand in Rio) gibt es frischen Fisch und starken Pisco auf einer Dachterrasse mit Blick auf den See. Der perfekte Ort um diesen Blog zu schreiben und mich danach nach Peru abzumelden…

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